Alle Geister dieser Welt

Bilder im Kopf

Viele Spirituosen haben eine lange und interessante Geschichte, oft eng mit einer Region oder Kultur verbunden. Wer an Whisky denkt, der sieht immer auch die kargen schottischen Hochtäler oder die wilden Küsten Islays vor sich, Rum zaubert hingegen Bilder karibischer Sandstrände und lauer Sonnenuntergänge hervor.

Das sind natürlich zunächst mal nur Assoziationen, die wir gelernt haben und die letztlich beliebige Zuordnungen sind. Aber ist es wirklich Zufall, dass schottischer Whisky oft an salzige Meerluft erinnert, während karibischer Rum das kaum tut? Warum ist Cognac häufig so unglaublich finessenreich, während spanischer Brandy eher schokoladig und süß auftritt?

Könnte nicht Rum genauso rauchig schmecken wie Lagavulin? Könnte er wohl schon, aber dann würde man in die unbeschwerte Lebensfreude des Südens die Strenge des Nordens mischen - wer will das schon? Andererseits würde uns ein süßer und fruchtiger Brand von den wilden Orkney - Inseln genauso befremden. Spirituosen sind also immer auch Abbilder der Region, der Kultur und damit der Menschen, die die Brände im Lauf der Jahrhunderte kultiviert haben.

Ein geistiger Streifzug

Wir beginnen in Europa, genau genommen in Irland. Angeblich haben die Iren den ersten Whisky gebrannt, die Kunst der Destillation ist aber schon viel älter und wir haben sie wohl den Arabern zu verdanken. Ob nun die Iren oder die Schotten den Whisk(e)y erfunden haben, ist letztlich egal. Auffällig ist aber, dass sich der Stil schon bei diesen Nachbarn unterscheidet. Der normalerweise dreifach destillierte irische Whisky ist meist leichter, oft eine Spur fruchtiger und kaum rauchig. Als hätte man auf der grünen Insel dem schottischen Verwandten bewusst eine sanftere Variante zur Seite gestellt. Zufall?


Ein besonders schöner Vertreter dieses sanften, erfrischenden Stils ist Redbreast, ein "Pure Pott Still" Whisky allerfeinster Machart: fruchtig und weich, sanft und frisch wie die grünen Wiesen Irlands.

Der schottische Singlemalt ist nicht umsonst der Whisky schechthin. Nirgendwo ist die Bandbreite an Aromen in einem Destillat eines Landes (!) größer als in Schottland, zwischen einem leicht fruchtigen Lowland und einem intensiven und rauchigen Islay Vertreter liegen geschmacklich Welten. Und auch hier finden sich wieder Parallelen zu den Regionen, denen die Brände entstammen: Ein milder und samtiger Auchentoshan oder Glenkinchie wiederspiegelt die sanften und relativ milden Täler der Lowlands, die Brände aus den wilden Highlands fallen in der Regel schon etwas fülliger, maskuliner und herber aus, die sturmumtosten Inseln wie Islay oder Orkney bringen schwere, rauchige und intensive Brände hervor, Ardbeg, Lagavulin und Laphroaig sind deren prominenteste Vertreter. Natürlich könnte man auch auf Islay einen leichten Whisky herstellen, aber würde der sich dann dort wirklich wohl fühlen?

In Frankreich ist der Cognac natürlich der bekannteste Brand. Und wie stellt man sich einen französischen Brand vor? Vermutlich irgendwie eleganter, finessenreicher und aristokratischer als aus anderen Ländern. Und genau so ist es. Guter Cognac ist immer eine Spur feiner, trockener und mondäner als es ein Weinbrand aus dem Rest der Welt je sein könnte oder wollte. Große alte Cognacs haben einen unnachahmlichen Stil, junge und unausgereifte Cognacs mit drei Sternen gehörten eigentlich verboten. Ein über 60 Jahre alter Cognac von Jean Fillioux ist für mich immer noch der Maßstab in Sachen Finesse, an Eleganz kaum zu übertreffen. Da mag Armagnac sich noch so abmühen, als einfach gebrannter Bauernschnaps (Sorry) ist er eben zu wenig französisch, um sich mit dem berühmten Bruder messen zu können. Auch wenn die Franzosen selbst das Ganze nun gar nicht kümmert, die trinken nämlich lieber Whisky.



Wodka hingegen kann nicht in Frankreich entstanden sein. Zu wenig Respekt gebietet ein Produkt, das praktisch über Nacht produziert werden kann. Wodka muss aus einem Land kommen, in dem man andere Sorgen hat, als jahrelang auf das Reifen eines Schnaps zu warten. Schnell muss gehen, wenn man keinen Roggen hat, dann nimmt man halt Kartoffeln. Irgendwas geht immer und auf irgendwas kann man immer trinken. Wenn man, einer alten Tradition folgend, mindestens 100ml zu sich nimmt, dann sind zu viele Fuselöle am nächsten Morgen nicht angenehm, deshalb lieben die Russen ihr "Wässerchen" so rein und klar wie möglich. Auch wenn es dann nach so gut wie gar nichts mehr schmeckt.

Und Wodka ist kommunistisch: Mag Tokajer der Wein der Könige sein, ganz sicher ist Wodka Stoff für das Volk!



Rum kann man geographisch gar nicht so genau festmachen. Zu viele Länder und Regionen der Erde produzieren Brände aus Zuckerrohr. Aber immer vermitteln sie uns ein bestimmtes Bild: Tropische Natur, laue Nächte, romantische Sonnenuntergänge und fröhliche Menschen. Selbst wenn diese Bilder natürlich Zerrbilder aus oftmals völlig unterentwickelten und womöglich wenig friedlichen Regionen sind, der Rum bemüht sich nach Kräften, diesem Bild zu entsprechen Zwar ist der Stil eines Rhum agricole nicht mit dem Rum aus Melasse vergleichbar, ein Rum wird in den tropischen Nächten der Karibikinseln ganz anders reifen als ein Ron Zacapa im über 2000 Meter hohen Hochland Guatemalas, trotzdem gibt es verbindende Elemente:



Rum wird kaum jemals die herbe Erdigkeit eines Lagavulin haben, auch die ehrfürchtige Aura eines hundertjährigen Weinbrandes passt nicht so recht, auch wenn es natürlich sehr guten und sehr alten Rum gibt. Rum ist eben volksnäher, der Tröster der Pflanzer und der Nektar der einfachen Menschen, immer süß genug für gute Laune und intensiv genug für lebenslustige Feiern. Aber Qualität ist ein Thema, die Menschen lieben ihren Rum und akzeptieren nicht jeden Fusel. Trotzdem ist Rum allgemein nicht zu stolz, um in Cocktails oder Longdrinks verarbeitet zu werden. Mancher Whisky oder Cognac würde da beleidigt die Nase rümpfen.



So stark alle diese traditionellen Destillate von ihrer Region und ihren Bewohnern geprägt wurden, eines haben sie alle gemeinsam: überall dort, wo die Herstellung noch in der Kultur und dem Stolz der Erzeuger verankert ist, wird man hohe Qualität finden. Gefährlich wird es immer dann, wenn internationale Resteverwertung stattfindet: eine "Spirituosenspezialität" ist eben keine Spezialität sondern fast immer mieses Zeug für Idioten und Wirkungstrinker. "Rumverschnitt" enthält gerade mal lächerliche 5 % Rum und niemand weiß, wozu das Zeug gut sein soll. Fensterputzen?



Wahrer "geistiger" Genuss hat immer auch mit Herkunft und Kultur zu tun. Produkte mit Tradition stehen nicht nur für überliefertes Wissen, handwerkliches Können und Qualität, sondern vor allem auch für Stil und Geschmack, für Lebensstil. Das sollte die paar Euro mehr wert sein.